Céline Rudolph
Sängerin |
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Stellen wir uns folgendes vor: im 20. Jahrhundert wird ein neues Gesellschaftsspiel, eine neue Kunstform, erfunden. Angekündigt ist ein Kinofilm mit dem Titel „Großstadtlabyrinth“, der uns interessiert, da er von einem beliebten Regisseur und Schauspieler gedreht worden ist. Sehen wir uns das Ereignis näher an: Gegen 21 Uhr 30 findet sich der Großteil des Publikums ein, obwohl im Programm eindeutig „Beginn 21 Uhr“ zu lesen war. Das scheint niemanden zu stören; es ist vielmehr so, daß dies üblich ist: Die Veranstalter wissen, daß das Publikum sich immer etwa eine halbe Stunde später einfindet, während sich die Gäste sicher sind, daß der Film ohnehin erst gegen halb zehn beginnt. Entscheidend ist, daß es bei diesem Film auch keine große Rolle spielt, wenn man zu spät kommt, da er aus ineinanderfließenden Kurzgeschichten, Stimmungen, Unterhaltungen, stehenden Bildern, sagen wir, wie eine großartige Collage zusammengestellt ist. Würden wir den Beginn verpaßen, so könnten wir dennoch das weitere Geschehen verfolgen, ohne uns die ganze Zeit fragen zu müßen, wer da eigentlich wen und wie am Anfang umgebracht hat (das Ärgernis, die entscheidenden Minuten beim Krimi verpaßt zu haben, kennen wir). Unser Verlust wäre also lediglich quantitativer Art. Auch der Ort des Geschehens ist nicht ganz gewöhnlich: Wir befinden uns auf einem Filmgelände, in dessen Mitte eine Kinoleinwand aufgestellt ist. Der Besucher kann sich hier überall umschauen oder, wie gewohnt, vor der Leinwand des Freiluftkinos Platz nehmen. Der Regisseur hat sich einer bekannten Thematik angenommen, die vor ihm schon Woody Allen, Wim Wenders, Frederico Fellini, Martin Scorcese, Luc Besson und Fritz Lang in unterschiedlichster Weise künstlerisch umgesetzt haben. Wir können also gespannt sein auf ein neues Werk über den Menschen in der Großstadt, seine Ängste und Sehnsüchte, Alltagsgeschichten und Romanzen. (Und wir haben eventuell das dumpfe Gefühl, wir könnten schon vorausahnen, was der „Autor uns sagen will“, wenn er beispielsweise eine desperate Liebesgeschichte zwischen zwei neurotischen „Großstadtindianern“ erzählen wird. Aber es kommt alles anders!
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Matthias Niese © |